Entfremdung des Individuums

Nicht nur die wirtschaftlichen Interaktionen zwischen den Menschen sind vom Kapitalismus geprägt, immer mehr erhalten kapitalistisch geprägte Einflüsse auch Einzug in das soziale Leben der Menschen und in zwischenmenschliche Interaktion. Ein ganz wesentlicher Punkt hierbei ist die Entfremdung des Individuums, die sich laut Karl Marx in vier grundlegende Aspekte gliedert:

Die Entfremdung von sich selbst, der Arbeit, der Natur und anderen Menschen.

Die Entfremdung von der Natur insofern, als man dieser nicht mehr mehr Wert zuschreibt als Ressource aus der Kapital gewonnen werden kann, alle spirituelle oder harmonische Verbindung zur Natur geht verloren, sie wird reines Mittel um Konsum künstlich erzeugter Güter zu ermöglichen.

Entfremdung von der Arbeit insofern als man selbst weder Besitzer der eigenen Arbeitskraft, die ja gegen Lohn verkauft wird, noch Besitzer des Produktes eigener Arbeit mehr ist. Der eigentliche Sinn der Arbeit eigenes kreatives, handwerkliches oder intellektuelles Potential zu nutzen, um so einen Mehrwert für die Gesellschaft zu erzeugen geht verloren, wenn man die Mündigkeit über die eigene Arbeitskraft täglich für einen Lohn an einen anderen oder einen Konzern übereignet. Ebenso geht die eigene Identifikation mit dem Produkt der eigenen Arbeit und die Sinnhaftigkeit der Arbeit für das Individuum an sich verloren, Arbeit wird reines Mittel zum Zweck, um sich in der wenigen daneben verbleibenden freien Zeit möglichst, so die Hoffnung, erfüllenden Konsum von Unterhaltung bzw. Ablenkung zu ermöglichen. Dies stimmt mit den Ergebnissen einer Studie von Gallup, einer Unternehmensberatung überein, die zu dem Schluss kommt, dass 85% der weltweit 1.3 Milliarden Vollzeit-arbeitenden unzufrieden mit dem eigenen Job sind.

Die Entfremdung von anderen Menschen insofern als man die Menschen nichtmehr als Teil des Organismus Menschheit und Mitglieder in der gleichen Spezies wahrnimmt, sondern in Stigmata, Nationalitäten oder Rassen denkt, denen manche sogar allein aufgrund des zufälligen geboren Werdens als diese oder jene Nationalität sogar Wert zu- oder absprechen, man Menschen also öfter rein als Konkurrenz um vermeintlich knappe Ressourcen, Aufmerksamkeit oder Erfolg sieht als als gleichberechtigtes und in sich wertvolles Individuum. Anstatt in Harmonie und in Solidarität zusammenzuleben und zu teilen was da ist schafft der Kapitalismus eine Leitkultur des Egoismus und Wettbewerbs, bei dem es vorwiegend, von der Schule an, darum geht besser zu sein als andere und so viel wie möglich in den eigenen Besitz zu bringen. Sehr bezeichnend hierfür ist das gängige Menschenbild in der Ökonomie, der Menschen als „Homo Oeconomicus„, essenziell eines Egoisten dessen Hauptziel das „rationale“ Maximieren des eigenen Vorteils und Profits ist. Das mag sich lächerlich simplifiziert anhören und ist es auch, dennoch ist dies heute das gängige Bild von Menschen, das in ökonomische Modelle einfließt und somit enorm viele Aspekte unseres Alltags und politischer Entscheidungen indirekt und direkt beeinflusst.

„We are persuaded to spend money we don’t have on things we don’t need to make impressions that won’t last on people that we don’t care about“

Tim Jackson

Die soziale Interaktion mit Menschen wird zunehmend zu einer Schlacht der Selbstdarstellungen. Man könnte es mit dem Aufbauen einer persönlichen Marke vergleichen. Vor allem durch Plattformen der Selbstinszenierung auf einer gesellschaftlichen Bühne wie Instagram und Facebook beschleunigt sich dieser Prozess des oberflächlichen Vergleichens als Kern der sozialen Interaktion immens. Es zählt weniger die dargestellten Qualitäten, die meist vor allem materialistischer und auf menschlicher Ebene wenig aussagekräftiger Natur sind, wirklich zu besitzen als bei den anderen Menschen den Schein zu erzeugen in Besitz dieser Statussymbole, dem Anschein gewisser Qualitäten, Ressourcen oder anderer oberflächlicher Merkmale zu sein. Die eigentlich wichtigen Aspekte, die den Menschen als soziales, empathisches und kommunikatives Wesen, als „Zoon politicon“ ausmachen werden nahezu irrelevant, weil es vorwiegend um eine Selbstinszenierung dessen geht, was man gerne in den Augen der anderen sein möchte. Die soziale Hierarchie wird mehr vom oberflächlichen Schein und dem was man mit seinem Äußeren in den Augen der anderen impliziert entschieden als durch die wirklichen Werte, die man in die Gesellschaft einbringt.

„Das Spektakel ist nicht ein Ganzes von Bildern, sondern vielmehr ein durch Bilder vermitteltes gesellschaftliches Verhältnis zwischen den Personen.“

Guy Debord

Guy Debord beschreibt diese Entwicklung äußerst treffend in seinem Buch „die Gesellschaft des Spektakels“. Eine seiner zentralen Aussagen besteht darin, dass aufgrund dessen, dass in der modernen Industriegesellschaft unsere überlebenswichtigen Bedürfnisse alle gedeckt sind, der Mensch dazu übergeht neue künstliche Bedürfnisse zu schaffen, um neue vom Kapitalismus zu erfüllende Bedürfnisse zu schaffen, die den Konsum erst nötig machen. Z.B. kein Individuum hat ein natürliches und biologisches Bedürfnis nach Markenklamotten oder teuren Autos, all diese Bedürfnisse und Wünsche entstehen erst dadurch, was sie in einem selbst und vor allem der eigenen Spiegelung in den Augen der anderen Menschen auslösen, der direkte Nutzen aus einem Luxusauto im Vergleich zu einem normalen Auto steht in keinem Verhältnis zu dem Preis, den man dafür bereit ist zu zahlen. Das ist die gesellschaftliche Komponente des Spektakels von dem Debord spricht. Diese Entwicklung findet sich in fast allen Domänen des öffentlichen Lebens wieder, bis hin zur Politik, wenn es bei Wahlen weniger um Inhalte geht als darum was die Persona des Kandidaten ausdrückt und ob man sich damit identifizieren kann und möchte. Sie trägt maßgeblich zur Entfremdung des Menschen von anderen Menschen bzw. dem eigentlich menschlichen im Umgang mit anderen Menschen bei. Die Effekte der oberflächlichen Erscheinung als wichtigstes Maß von Wert und Stellung eines Menschen in der Gesellschaft sind zum Beispiel erkennbar an durch von völlig absurden, mit Filtern und Bildbearbeitung noch überhöhten, Schönheitsidealen ausgelösten Essstörungen und Unzufriedenheit mit dem eigen Körper in einer Vielzahl von jungen Menschen und der proportional mit der zunehmenden Popularität von Social Media gestiegenen Selbstmordrate unter Teenagern.

Dies ist ebenfalls symptomatisch für die Entfremdung des Individuums von sich selbst, die insofern auftritt als das das Individuum anstatt sich als kreativen und wertvollen Teil der Gesellschaft zu betrachten, welches sich in seiner Arbeit selbst verwirklicht und einen Beitrag zum kollektiven Erbe der Menschheit leistet, es entfremdet von anderen und der eignen Arbeit zu einem austauschbaren Teil einer ökonomischen Maschinerie degradiert wird, welcher selbst keinen merklichen und sinngebenden Einfluss auf die Gesellschaft als solche hat. Hinzu kommt, dass man durch die Oberflächlichkeit der Interaktion und den immensen Wert des Äußeren dazu tendiert sich selbst rein durch die Augen anderer zu betrachten und seinen eigenen Wert vorwiegend aus der Validierung durch andere zu begründen sucht. Es bekommt Sinn und Bestätigung des eigenen Wertes die anderen Individuen, mit denen man im Wettstreit um Anerkennung und Besitz steht vom eigenen Wert zu überzeugen. Anstatt Wert und Sinn in sich und den eigenen menschlichen Qualitäten, die wohl jeder Mensch in welcher Form auch immer besitzt, zu finden und anzuerkennen. Dem Individuum, seiner produktiven Zeit zur kreativen Entfaltung, der Arbeit, beraubt durch die Notwendigkeit eben diese gegen Lohn zu verkaufen, bleibt nur die verbliebene Freizeit, um sich frei zu entfalten und dem eigenen Dasein einen Sinn zu verleihen. Da jedoch diese Zeit häufig mit dem Konsumieren von Gütern und sinnloser Unterhaltung verbracht wird geht der eigentlich sinnstiftende Aspekt des menschlichen Lebens sich kreativ und sozial in die Gesellschaft einzubringen in vielen Fällen fast gänzlich verloren.

Konsum als Sinn des Lebens

„The culture-ideology of consumerism relentlessly promotes the view that the true meaning of life is to be found in our possessions.“


Leslie Sklair

William Rees, ein Planer für urbane Räume an der British Columbia Universität, schätzte, dass es vier bis sechs Hektar Land benötigt um das durchschnittliche Konsum Niveau, das ein aus einem Industriestaat stammender Konsument im Schnitt verbraucht, zu gewährleisten. Wenn man aber jegliches ökologisch produktives Land, das auf dem Planeten verfügbar ist (Stand 1990) gleich unter allen damals auf der Erde lebenden Menschen aufteilen würde, käme man auf eine Fläche von nur 1,7 Hektar Land pro Person.

„Die Menschheit hat mit dem heutigen Tag (Artikel vom 21.07.2021) die Ressourcen verbraucht, die ihr bei nachhaltiger Nutzung für das gesamte Jahr zur Verfügung gestanden hätten. Das geht aus Berechnungen des Global Footprint Networks mit Sitz in den USA und der Schweiz hervor. Gegenwärtig verbraucht die Menschheit 74 Prozent mehr als die Ökosysteme des Planeten regenerieren können – oder „1,74 Erden“. Der weltweite Ressourcenverbrauch nähert sich den Schätzungen zufolge wieder dem Stand von vor dem Beginn der Corona-Pandemie.“ – Tagesschau Und das jedes Jahr, tendenz steigend.

Wie aus den obigen Beispielen zum Überverbrauch der natürlichen Ressourcen hervorgeht verbraucht die Menschheit kollektiv mehr, als der Planet hergibt und das in extremem Ausmaß. Dies liegt vor allem daran, dass durch den Kapitalismus und seinen Imperativ des grenzenlosen Wachstums eine Industrie und Konsumgesellschaft entstanden ist, die jedes Jahr mehr und mehr Produkte konsumiert als in den natürlichen Grenzen unseres Planeten auf lange Frist möglich ist. Dennoch streben die Konzerne und Firmen in diesem System unaufhaltsam, getrieben von der Notwendigkeit immer mehr Gewinne zu erzielen und unterstützt von einer immer perfideren und ominipräsenten Werbeindustrie danach uns alle zu immer mehr Konsum zu bewegen. Dass es bei diesem Konsum von Gütern nicht mehr einfach um die Erfüllung der biologischen Menschlichen Bedürfnisse geht ist offensichtlich ebenso, dass viele der Produkte die wir konsumieren ausschließlich nach der Maxime ausgelegt sind den maximalen Profit aus diesen zu erwirtschaften anstatt möglichst hohe und langanhaltende Qualität zu gewährleisten und so die Ressourcen nachhaltig und effizient zu gebrauchen, die uns ja nur in begrenztem Maße zur Verfügung stehen.

Sehr gute Bespiele für die zukunftsvergessene und rein an Profit orientierte Nutzung von Ressourcen um den Konsum um damit eben diesen Profit zu maximieren ist das gezielte Konzipieren von Produkten, die darauf ausgelegt sind nach Ablauf ihrer Garantie defekte zu haben. Ob es sich um Smartphones, Fernseher oder Waschmaschinen handelt, die Beispiele sind mannigfaltig und lassen auf ein systematisches und forciertes Problem schließen. Besonders im Fall von Geräten, die Mikrochips und andere Hight Tech Bauteile nutzen ist dies ein essentielles Problem, da für die komplexe Hardware dieser Geräte viele seltene Metalle und sog. seltene Erden verbraucht werden, die meist unter menschlich äußerst Fragwürdigen, vor allem das Thema Kinderarbeit spielt hier eine große Rolle, da je kleiner der Arbeiter, desto kleiner auch der gegrabene Schacht sein muss, und extrem klimaschädlichen Methodiken gewonnen werden. Andere Branchen, die auch enorm zu dem Überverbrauch von Ressourcen beitragen sind z.B. die Fashion Industrie, mal ganz abgesehen von den bereits erwähnten Arbeitsbedingungen ist dieser Industrie vor allem die, ich unterstelle hier mal, durchaus kalkulierte mangelnde Qualität und Haltbarkeit ihrer Produkte und die extreme Incentivierung, vor allem auch junger Menschen, durch Marketing und eine Konsumkultur, die gewissermaßen als Sucht gesehen werden kann, zu grenzenlosem Konsum von einem Übermaß an Produkten. Forciert wird das ganze durch ein System, einer Popkultur, der wandelnden Trends, das, um aktuell und „cool“ zu bleiben den Konsum immer neuer Produkte erfordert. Die Notwendigkeit immer neue Produkte auf den Markt zu „werfen“ ist pervertiert bis hin zu Praktiken, dass übergebliebene Stücke älterer Kollektionen schlichtweg entsorgt oder sogar gezielt zertört werden nur um den Status des Luxusartikels, der ja nicht zu geringen Teil aus einer das Angebot übersteigenden Nachfrage oder zumindest gewünschten Nachfrage besteht, zu erhalten. Vor allem auch Amazon bildet ein perfektes Beispiel, wie die Überversorgung des Marktes mit Produkten zu katastrophalen und in keiner Relation zu einer nachhaltigen und zukunftsfähigen Menschheit stehenden Verhalten des modernen Konzerns steht. Bei Amazon ist es üblich im Falle von Retouren viele der Produkte statt des Recycelns der Produkte, die schlichtweg eine neue Verpackung und das Überprüfen auf Schäden erfordern würde, einfach zu entsorgen. Das spart vor allem bei billigen Gütern schlichtweg kosten.

Doch eine Kultur des „Consumerism“ oder wie Marx es nennt „Warenfetischismus“ hat nicht nur schwerwiegende Folgen für den Planeten und die unter das Joch der Konsummaschine gespannten Arbeiter. Sie nimmt auch in erheblichem Maße darauf Einfluss, wie die kulturelle Anschauung eines Erfüllten Lebens aussieht. Es ist nämlich, um für eine derartige Überproduktion an Gütern auch die entsprechende Nachfrage zu schaffen nötig den Konsum und das Bedürfnis nach immer neuen Gütern, die im Grunde nur minimal besser sind als bereits Besessenes, so tief in die populäre Kultur einzubetten, dass Menschen dazu tendieren ein erfolgreiches Leben daran zu bemessen welche Menge an materiellem Wohlstand ein Individuum besitzt. Dies definiert auf drastische Weise den Glücksbegriff neu, indem es materiellen Reichtum zum höchsten und einzigen Ziel des menschlichen Strebens erhebt. „He who dies with the most Toys wins.“

Der Glücksbegriff

Anschließend und in Zusammenhang mit Konsum als Sinn des Lebens und somit so zu sagen als Weg zum Glück auf den temporären Glücksbegriff eingehen. Dazu möchte ich verschiedene vor allem im Entstehungszeitpunk differierende Glücksdefinitonen vergleichen:

Aristoteles teilt in seiner Nikomachischen Ethik Glückseligkeit, als höchstes Ziel im menschlichen Leben, in drei Teile:

  • Genuss
  • Gemeinschaft
  • Erkenntnis/ Weisheit

Außerdem beschreibt in Form des Ergon-Arguments, dass jedes Wesen bestimmte Eigenschaften besitzt, die es von anderen Wesen abgrenzen. Die Erfüllung der Bestimmung des Wesens wird dann erreicht, wenn dieses Wesen seinen Ergon, seine individuelle Eigenschaft auf eine vollendete Weise nutzt. Für den Menschen sieht Aristoteles den Ergon, also das, was das Wesen des Menschen von anderen Wesen, gemeint sind anderen Lebewesen, abgrenzt, als das Tätigsein der Seele gemäß dem rationalen Element (dem Nachdenken, der Vernunft). Für Aristoteles besteht Glück also weniger in der periodischen Freisetzung von Glückshormonen als dem Leben eines erfüllten Lebens, in dessen Rahmen man durch „Tätigsein auf eine vollendete Weise und in einem vollen Leben“ Handlungen vollbringt, die zu eben diesem momentanen Glück führen also mehr einer Zufriedenheit mit dem Leben und den Umständen in denen man sich befindet.

Eine ähnlichen Glücksbegriff impliziert das Gedankenexperiment der ewigen Wiederkehr aus Friedrich Nietzsches „Also sprach Zarathustra“:

Und wenn sich eines Tages oder einer Nacht ein Dämon in deine einsamste Einsamkeit eingeschlichen hat und zu dir sagte: „Dieses Leben, so wie du es jetzt lebst und gelebt hast, wirst du es immer und immer wieder leben müssen; und es wird nichts Neues darin sein, jeder Schmerz und jede Freude und jeder Gedanke und Seufzer und alles unsagbar Kleine und Große in deinem Leben wird zu dir zurückkehren, und das alles in der gleichen Reihenfolge und Reihenfolge – und so wird diese Spinne und dieses Mondlicht zwischen den Bäumen, und ebenso dieser Augenblick und ich. Die ewige Sanduhr des Daseins wird immer wieder umgedreht – und du damit Staubstaub!“ – Würdest du dich nicht zu Boden werfen und mit den Zähnen knirschen und den Teufel verfluchen, der so mit dir gesprochen hat? Oder haben Sie jemals einen außergewöhnlichen Moment erlebt, in dem Sie antworteten: „Du bist ein Gott, und ich habe noch nie etwas Göttlicheres gehört!“
Wenn dieser Gedanke Macht über Sie gewinnen würde, so wie Sie sind, würde er Sie verwandeln und vielleicht zermalmen; die Frage, angesichts von allem und jedem: „Will ich das immer und immer wieder?“ Es würde wie die schwersten Gewichte auf Ihrem Akt wiegen! Oder wie müsstest du mit dir selbst und mit dem Leben in einem guten Verhältnis stehen, um nicht mehr zu wollen als diese letzte, ewige Bestätigung und Siegel?“

Friedrich Nietzsche

Ich denke Nietzsche impliziert damit, dass man ein zufriedenes Leben so charakterisieren kann, dass man mit gutem Gewissen wollen kann, dass sich eben dieses bisher geführte Leben „immer und immer wieder, […]in der gleichen Reihenfolge und Reihenfolge“ wiederholt. Indem man sich die Frage stellt „Will ich das immer und immer wieder?“, kann man sich selbst prüfen, ob man mit seinem Leben bzw. dem Teil seines Lebens der der eignen Kontrolle subjekt ist zufrieden, glücklich war und ist.

Beide dieser Ansätze, die sich ja im Grunde ähneln, sehen Glück bzw. ein glückliches Leben nicht als ein auf den Moment des Glücks verkürzten Zustand an, sondern vielmehr als eine Lebensweise die diese Momente dann als Folge der Zufriedenheit mit den Umständen in sicherem Rahmen ermöglicht. Ich glaube in der Moderne ist dieser Rahmen um das momentanen Glück als Teil der Definition wirklichen Glücks verloren gegangen. Glück gilt vielmehr nur noch als die momentane Ausschüttung von Glückshormonen. Ähnliches impliziert Siegmund Freud:

„Was man im strengsten Sinne Glück heißt, entspringt der sehr plötzlichen Befriedigung hoch aufgestauter Bedürfnisse und ist seiner Natur nach nur als episodisches Phänomen möglich.“

Siegmund Freud

Glück bedeutet hier also nur noch die flüchtige und vergängliche Befriedigung von Bedürfnissen, von momentaner Lust. Der Sinn des Lebens löst sich, statt des Strebens nach einer allgemeinen Zufriedenheit, in einzelne vergängliche Glücksmomente auf. Er bekommt so zu sagen eine Jagd nach der momentanen Erfüllung von Lust, dem kleinen Glück ohne Dauerhaftigkeit. Hier setzt die Marketingindustrie an und verspricht mit spektakulären und unsere uns eigenen Triebe gegen uns ausspielenden Kampagnen genau dieses momentane Glück durch Konsum zu erfüllen. Der Sinn des Lebens wird also vom „Tätigsein der rationalen Seele“, also dem kreativen, handwerklichen oder intellektuellen Einsetzen der menschlichen Vernunft, zu einer Abfolge kleiner Glücksmomente ohne Dauer, die nur durch materiellen Reichtum zu finanzieren sind. Daraus folgend tritt materieller Reichtum an die Stelle eines Rahmens der Zufriedenheit mit den Lebensumständen, der erst das glückliche Leben in der Konsumgesellschaft ermöglicht. Dies führt schnell dazu, dass Menschen dazu tendieren Reichtum mit Glück gleichzusetzen. Ohne dabei jegliche soziale oder sinnliche Komponente zu berücksichtigen, die eigentlich so fundamental das Zufriedensein mit sich selbst bestimmen und somit essentieller Bestandteil eines „glücklich gelebten“ Lebens sind.

Hier spielt auch der Aspekt der Entfremdung der Arbeit eine große Rolle. Karl Marx beschreibt das so,

„[…] daß die Arbeit dem Arbeiter äußerlich ist, d.h. nicht zu seinem Wesen gehört, daß er sich daher in seiner Arbeit nicht bejaht, sondern verneint, nicht wohl, sondern unglücklich fühlt, keine freie physische und geistige Energie entwickelt, sondern seine Physis abkasteit und seinen Geist ruiniert. Der Arbeiter fühlt sich daher erst außer der Arbeit bei sich und in der Arbeit außer sich. Zu Hause ist er, wenn er nicht arbeitet, und wenn er arbeitet, ist er nicht zu Hause. Seine Arbeit ist daher nicht freiwillig, sondern gezwungen, Zwangsarbeit. Sie ist daher nicht die Befriedigung eines Bedürfnisses, sondern sie ist nur ein Mittel, um Bedürfnisse außer ihr zu befriedigen.

Karl Marx

Mit der Degradierung der Zeit in der der Mensch mit seiner Vernunft tätig werden kann, nämlich seiner Arbeitszeit zu einem Mittel zum Zweck „um Bedürfnisse außer ihr zu befriedigen“ raubt die Lohnarbeit dem Menschen die Mündigkeit über seine produktive Zeit und damit die Zeit, in der er der Erfüllung seines „Ergon“ nachgehen könnte und sollte.

Karl Marx schreibt weiter, dass die Entäußerung/Entfremdung der Arbeit nun darin besteht, dass

„[…]sie [die Arbeit] ihm nicht gehört, daß er in ihr nicht sich selbst, sondern einem andern angehört. Wie in der Religion die Selbsttätigkeit der menschlichen Phantasie, des menschlichen Hirns und des menschlichen Herzens unabhängig vom Individuum, d. h. als eine fremde, göttliche oder teuflische Tätigkeit, auf es wirkt, so ist die Tätigkeit des Arbeiters nicht seine Selbsttätigkeit. Sie gehört einem andren, sie ist der Verlust seiner selbst.

Es kömmt daher zu dem Resultat, daß der Mensch (der Arbeiter) nur mehr in seinen tierischen Funktionen, Essen, Trinken und Zeugen, höchstens noch Wohnung, Schmuck etc., sich als freitätig fühlt und in seinen menschlichen Funktionen nur mehr als Tier. Das Tierische wird das Menschliche und das Menschliche das Tierische.“

Karl Marx

Marx definiert tierische Funktionen insofern:

„Essen, Trinken und Zeugen etc. sind zwar auch echt menschliche Funktionen. In der Abstraktion aber, die sie von dem übrigen Umkreis menschlicher Tätigkeit trennt und zu letzten und alleinigen Endzwecken macht, sind sie tierisch.“

Karl Marx

Nach eben dieser Eigenschaft, des alleinigen Endzweck seins, kann man, denke ich, auch Konsum, zumindest den Teil von Konsum, der er als alleinigen Endzweck das momentane Glück sucht, als tierische oder zumindest teilweise tierische Funktion betrachten. Der Mensch verliert also durch Überäußerung seiner produktiven Zeit, seines Menschlichen, gegen Lohn an einen Kapitalisten die Zeit, in der er menschlich ist und findet Freiheit und Glück fast nur noch in den tierischen, also Endzweck in sich selbst seienden Tätigkeiten, wie z.B. den Konsum von Unterhaltungsmedien, den Konsum um des Konsums Willen, also z.B. Shopping ohne bedarf, schlicht gegen das Gefühl unglücklich sein oder den Konsum von Rauschmitteln wie Alkohol, deren Sinn die Betäubung des Geistes und das Entrationalisieren des Tierischen ist.

Das dies nicht für alle Menschen gilt oder zumindest nicht in dieser extremen Form sei hier betont. Es gibt mit Sicherheit auch viele Menschen deren Arbeit selbst die Erfüllung eines Bedürfnisses ist, dennoch, in retrospektive der oben genannten Studie, dass 85% der in Vollzeit Angestellten unglücklich mit ihrer Arbeit sind, glaube ich, dass es vielen Menschen so geht.

Außerdem steht es natürlich jedem frei seine Freizeit trotz der Fülle an Angeboten zum Konsum ohne mehr Wert als schlichte Unterhaltung zu nutzen, doch je ermüdender und „seine Physis abkastei[ender]“ die Arbeit ist, desto nachvollziehbarer ist die Notwendigkeit zur Erholung und gewissermaßen Realitätsflucht durch Unterhaltung in rein tierischen Betätigungen.

Gesellschaft des Spektakels

Ich möchte im Folgenden noch einmal konkret auf Guy Debords Spektakel und seine Bedeutung für unsere Kultur und gesellschaftlichen Werte eingehen. Denn neben der Umdefinierung von Glück führt eine um Konsum herum definierte Ideologie auch zu einer Obsession mit dem Schein und Darstellung über allem anderen Realen.

„Die erste Phase der Herrschaft der Wirtschaft über das gesellschaftliche Leben hatte in der Definition jeder menschlichen Realisierung eine offensichtliche Degradierung des Seins zum Haben mit sich gebracht.

Die gegenwärtige Phase der völligen Beschlagnahme des gesellschaftlichen Lebens durch die akkumulierten Ergebnisse der Wirtschaft führt zu einer verallgemeinerten Verschiebung vom Haben zum Scheinen, aus welchem jedes tatsächliche „Haben“ sein unmittelbares Prestige und seinen letzten Zweck beziehen muss.“

Guy Debord

Diese bezieht sich auf bereits erwähnten Effekt der Marketingindustrie, der den Grund für den Konsum bestimmter Produkte weniger daraus rechtfertigen zu sucht, welchen direkten individuellen Nutzen ein Produkt für seine Benutzerin hat, als daraus welchen Schein der Besitz des Produkts in der Wahrnehmung anderer vom konsumierenden Individuum hat. Ein gutes Beispiel hierfür ist die „I’m a Mac, I’m a PC“ Werbung von Apple, mit der 2006 erstmals für den Mac, einen Computer von Apple geworben wurde. In der Werbung werden zwei Persona erzeugt, auf der einen Seite der junge, agile „Mac“ und der eher spießige, etwas langsame „PC“, diese vergleichen sich, wobei „Mac“ immer besser wegkommt als „PC“. Diese Form der Werbung ist symptomatisch für den Wert des Scheins über realen Nutzen, man impliziert, anstatt konkret das Produkt und den individuellen Nutzen zu bewerben oder auch nur suffizient zu erwähnen, vielmehr den Schein in den Augen anderer den der Besitz eines Mac gegenüber dem Besitz eines „langweiligen“ PCs hat und nutzt dies als vorwiegendes Verkaufsargument. Die Beispiele sind mannigfaltig, ein anderes bietet eine Werbung für eine App namens „Expensify“, statt jeglicher Information über die Qualität des eigentlichen Produkts impliziert das luxuriöse Auftreten des Rappers Two Chainz und seine Ignoranz gegenüber den damit verbundenen Kosten, dass wer diese App benutzt eben diesen luxuriösen Lebensstil führt. Bei genauerem Hinsehen ist es sowohl möglich, dass der den „PC“ personifizierende Mensch ein sehr agiler und sportlicher Mensch ist, oder Two Chainz eigentlich sehr bescheiden lebt. Diese mehrdimensionale und in sich komplexe Realität spielt für das Spektakel an sich jedoch keine Rolle. Anstatt die Komplexität der Realität darstellen zu wollen geht es lediglich um simplifizierte und oberflächliche Bilder, die bestimmte Privilegien oder in kontemporären Normen erstrebenswerte Eigenschaften wie materiellen Reichtum implizieren, für sich allein genommen aber in keinster Weise wirklich auf diese schließen lassen.

Das Spektakel kann nicht als Übertreibung einer Welt des Schauens, als Produkt der Techniken der Massenverarbreitung von Bildern begriffen werden. Es ist vielmehr eine tatsächlich gewordene, ins Materielle übertragene Weltanschauung. Es ist eine Anschauung der Welt, die sich vergegenständlicht hat.

„Das Spektakel ist nicht ein Ganzes von Bildern, sondern ein durch Bilder vermitteltes gesellschaftliches Verhältnis zwischen Personen.“

Guy Debord

Oder um es mit den Worten von Karl Marx zu sagen:

„Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.“

Karl Marx

Vielmehr als der Gesellschaft aufgezwungen ist das Spektakel in der Kultur selbst verankert und wir alle, bis zu einem gewissen Grad, sind mit verantwortlich für seinen Erhalt durch Teilnahme an ihm. Der für das Spektakel so notwendige Schein, den der Besitz bestimmter Güter impliziert, ist nur durch die Zusprechung eben jener scheinenden Attribute und deren Akzeptanz durch die anderen Individuen in der Gesellschaft erst Grund für ihren scheinenden Wert. Je präsenter das Spektakel in einer Gesellschaft wird, desto mehr Wert haben simple Darstellungen der Realität im Vergleich zu reell begründetem Wert. Symptomatisch und diese Logik in sich vergegenwärtigend ist Social Media. Beispielweise bei Instagram ist der vorwiegende Zweck des Postens von Bildern als kuratierte, oberflächliche und meist realitätsferne Darstellung des Lebens des Individuums eine online Persona zu erzeugen, die einen gewissen Schein in den Augen anderer erwecken soll. Das Erzeugen des Anscheins von Glück und Erfolg bekommt oft wichtiger als die eigentlichen Manifestationen dieser Attribute im Leben des Individuums. Es bildet sich immer mehr eine soziale Bühne, auf der man auch außerhalb des Internets versucht eine Schein-Persona darzustellen, die häufig nur sehr Teilweise mit der Realität übereinstimmt.

Ein großer Teil der Obsession mit dem Schein spiegelt sich auch in dem Stellenwert den Kleidung für das Bestimmen des sozialen Werts, bzw. der Persönlichkeit als Teil einer Stereotype von Personen dar. So kann man sich durch das Tragen bestimmter Marken als coole und sportliche Skaterin darstellen und durch andere als wohlhabend oder über andere gestellt, durch mehr materiellen Besitz als andere. Dass man direkt und sehr bestimmt nach seinem äußeren beurteilt wird zeigt sich z.B. daran, dass es dazu kommen kann, dass man gebeten wird bestimmte Läden zu verlassen, wenn man nicht dem kontextuellen Standard entsprechend gekleidet ist oder gewisse Nachtclubs nicht betreten darf ausschließlich aufgrund der eigenen Kleidung. Eine ebenfalls symptomatische Entwicklung ist das freiwillige Zeigen der Marke als Accessoire oder Aufdruck auf dem Kleidungsstück. Es geht heute häufig weniger um Komfort und Qualität der Kleidung als vielmehr das zur Schau stellen eines Markennamens und des damit verbundenen Scheins, Image, als Indikator für den eigenen Wert in der Gesellschaft. Dies ist das Spektakel, die Obsession mit dem Bild als vergegenständlichte Aussage zum gesellschaftlichen Verhältnis zwischen den Personen. Pervertiert haben das Ganze dann Marken wie Champion oder Supreme, deren Markenname, den man auf fast jedem ihrer Kleidungsstücke zur Schau stellt, ja direkt durch seine eigene wörtliche Bedeutung eine Überlegenheit implizieren soll.

Egoismus als Leitkultur. Was Kapitalismus für das soziale Miteinander bedeutet.

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